Ein Blick zurück:
Wie ich es erlebt habe
Covid-19 war für uns alle ein einschneidendes Erlebnis in unserem Leben. Die Covid-19-Lockdowns haben einiges an Entbehrungen, aber auch viele positive Veränderungen mit sich gebracht. Einerseits sind die Menschen in meinem Umfeld ernster geworden, da die Angst im Vordergrund stand, andererseits waren sie auch offener im Umgang miteinander, weil wir alle im gleichen Boot saßen.
In den vielen Lockdown-Phasen war es ärgerlich, seine Liebsten nicht immer sehen zu können. Als dann mein Bruder Covid-19 hatte, hat es mich auf der einen Seite belastet, weil ich Angst hatte, ihn durch seine Krankheit zu verlieren. Muss er jetzt sterben? Was passiert mit mir, wenn ich keinen Bruder mehr habe?
In der Familie zusammengewachsen
Den Tod meiner Liebsten vor Augen hat mich zum Nachdenken gebracht und mir so einige Prioritäten im Leben in ein anderes Licht gerückt. Ich sehe bei mir und auch bei Freunden und Bekannten, dass Familie wieder mehr Wertschätzung erfährt. Als Geschwister sind wir noch ein Stück mehr zusammengewachsen. Ich beobachte wieder eine gewisse Dankbarkeit füreinander und für alltägliche Dinge. Hat sich mein Bruder früher noch oft beschwert, wenn zum Beispiel die Zahnpasta nicht ordentlich ausgedrückt wurde, ist ihm das heute nicht mehr so wichtig. Meine Nichte etwa hatte sich vor Covid-19 noch manchmal über ihre Schule beschwert, heute hingegen freut sie sich, dass die Schule endlich wieder geöffnet hat.
Sicher hat es in der ersten Lockdown-Phase auch Spaß gemacht, endlich so lange schlafen zu können, wie ich wollte. Dennoch war ich glücklich, als die Lebenshilfe wieder öffnete. Auch hier hatte Covid-19 positive Effekte, da es zu Umstellungen in der Aufteilung der Gruppen gekommen ist. Es gibt nun mehr Kleingruppen in mehreren verschiedenen Räumen. Es ist intensiveres Arbeiten möglich, es ist ruhiger in den Gruppen und es gibt auch mehr Einzelbetreuung.
Die Impfung gibt mir Freiheit zurück
Was passiert, wenn ich mich anstecke? Gedanken, wer mich dann pflegen würde, haben mich bis zur Impfung oft beschäftigt. Meine persönliche Assistenz würde mich kaum pflegen können, weil sie dann für zehn Tage in Quarantäne gehen müsste. Meine Geschwister zu fragen, wäre auch zu viel gefragt, und ins Krankenhaus zu gehen, wäre meine allerletzte Option. Daher habe ich mich bei allererster Möglichkeit gleich impfen lassen, um auch meinen Beitrag zur Covid-19-Bewältigung zu leisten. Das war und ist ein befreiendes Gefühl, endlich all die Sorgen loslassen zu können, ob ich jemand anderen oder mich selbst anstecken könnte. Nun verspüre ich mehr Ruhe und weniger Sorgen im Leben und alltägliche Aufgaben rücken wieder mehr in den Vordergrund. Ich weiß jetzt, dass ich nicht alleine bin, nachdem wir alle im gleichen Boot gesessen sind.
Ich schreibe hier keinen Aufruf zum optimistischen Denken, sondern eine Anregung für einen Perspektiven-Wechsel auf die letzten eineinhalb Jahre. Die Zeit hat uns neben all den Entbehrungen auch so viel positive Veränderungen gebracht. Covid-19 ist ein Weckruf für mehr Bewusstsein für die sonst selbstverständlichen Dinge im Leben und für mehr Dankbarkeit, dass wir gesund sein dürfen. Es kann so schnell gehen, daher genießen wir lieber die Zeit, die wir haben.
Text: Hanna Kamrat