Ab sofort im Kino: Eva-Maria arbeitet Vollzeit an der Pädagogischen Hochschule. Sie ist stolz auf ihre Arbeit, denn es war nicht einfach, die Stelle zu bekommen. Denn Eva-Maria sitzt seit ihrer Kindheit im Rollstuhl. Das war für sie aber nie ein Grund, ihre Träume aufzugeben. Nun möchte sie sich ihren größten Wunsch erfüllen: ein Kind bekommen.
Der Regisseur und Eva-Marias Assistent Lukas Ladner hat die starke Frau 3 Jahre lang mit der Kamera begleitet und ihren Weg festgehalten.
Redakteur Daniel Gamweger hat mit Eva-Maria Proßegger und Lukas Ladner gesprochen. “Eva-Maria” ist derzeit im KIZ RoyalKino in Graz zu sehen.
Könnt ihr euch bitte selbst kurz vorstellen?
Lukas Ladner: Ich bin der Lukas Ladner, ich habe „Regie“ studiert. Nach dem Studium bin ich nach Innsbruck gegangen und arbeite hier als freier Filmschaffender und alles Mögliche andere – unter anderem auch als persönliche Assistenz. Vor inzwischen 5 Jahren habe ich angefangen, für Eva-Maria zu arbeiten. Der Film ist aus dieser Arbeitsbeziehung entstanden.
Eva-Maria Proßegger: Ich bin die Eva-Maria, wie schon viele wissen. Ich komme ursprünglich aus Oberösterreich und habe dann nach langer Arbeitssuche einen Job in Innsbruck bekommen und bin nach Innsbruck gezogen. Ich war da von 2013 bis 2019 Vollzeit tätig, bis ich in Mutterschutz und Karenz gegangen bin. Im September hat mein Sohn Ben mit dem Kindergarten begonnen und ich habe im Oktober wieder mit der Arbeit begonnen, in Teilzeit. Momentan wohne ich noch in einer Übergangswohnung, aber ich habe schon eine Wohnung in Aussicht, worüber ich mich sehr freue.
Wie habt ihr euch kennengelernt?
Eva-Maria Proßegger: Lukas hat eine Arbeit gebraucht, als er mit dem Studium fertig war, und über einen bestehenden Assistenten den Job vermittelt bekommen. Durch Mundpropaganda ist der Lukas zu mit ins Assistenz-Team gekommen.
Lukas Ladner: Ich habe damals ganz gezielt danach gesucht. Ich habe schon vor meinem Studium in Innsbruck nebenher in der Lebenshilfe als Familienentlastung und Freizeitassistenz gearbeitet. Damals habe ich nach etwas Ähnlichem gesucht, weil mir das Spaß gemacht hat und weil es ein sehr flexibler Beruf ist. Ich habe gehofft, dass der Beruf gut mit dem Filme-Machen vereinbar ist.
Also ja, wir haben uns in der Arbeitsbeziehung kennengelernt, aber es ist ganz schnell um das Thema „Film“ gegangen. Eva-Maria hat mir supergerne Filme über Menschen mit Behinderung gezeigt, um darüber zu diskutieren.
Eva-Maria Proßegger: Ich habe ihm klassische Filme gezeigt, die man als Mensch mit Behinderung oft kennt: zum Beispiel „Ziemlich beste Freunde“, „Wo ist Fred?“, „Erbsen auf halb 6“ – da gibt es viele. Die Filme haben mir schon gefallen, aber mich hat aufgeregt, dass immer die Behinderung im Vordergrund steht und dass es keine Filme gibt, wo ein Mensch mit Behinderung Nebensache ist. Nicht Nebensache – aber der Rollstuhl oder die Behinderung an sich als Nebensache. Dann haben wir sehr schnell gesagt: Eigentlich müssten wir eine Doku machen!
Eva-Maria, wie war die Schwangerschaft für dich?
Eva-Maria Proßegger: Ich war so gerne schwanger! Ich habe wirklich keine großartigen Schwangerschafts-Beschwerden gehabt, bis auf diesen Zwischenfall mit der Blutung (Anm. der Redaktion: Das wird im Film gezeigt). Ansonsten war ich so gerne schwanger und ich glaube, nicht stimmungsschwankend unterwegs. Ich habe keine Fressattacken gehabt, sondern einfach nur das Schwanger-Sein genossen! Ich hatte auch keine Kreuzschmerzen, weil der Bauch schön brav auf dem Schoß gelegen ist. Ich war so gerne schwanger, dass ich schon fast ein bisschen traurig war, als es dann geheißen hat: so, jetzt Kaiserschnitt und entbinden! Gleichzeitig war ich natürlich sehr gespannt, was da in mir gewachsen ist – ich habe mir vorher nicht sagen lassen, ob es ein Bub oder ein Mädchen ist.
Welche Erfahrungen hast du in der Schwangerschaft gemacht?
Eva-Maria Proßegger: Im Winter hat dank der dicken Winterjacke kaum jemand gesehen, dass ich schwanger bin. Später waren viele sehr überrascht und teilweise sehr zurückhaltend.
Von einem Apotheker kam eine Aussage, als ich ein Medikament abgeholt habe: „Das ist aber für schwangere Mütter!“ Und ich habe geantwortet: „Ja, genau.“ Der war dann auch sehr verdutzt.
Es hat vereinzelte Situationen mit Ärzten gegeben, bei denen ich sagen muss: Es ist traurig, dass man so etwas erlebt. Als ich während der Schwangerschaft diese Blutungen hatte, sagte ein junger Arzt: „Naja, Sie sind jetzt zwar schon über der 12. Woche, aber in Ihrem Fall könnte man noch eine Abtreibung befürworten.“ Dabei ist das nie zur Debatte gestanden. Das hat mich so schockiert, dass das vonseiten eines jungen Arztes gekommen ist, obwohl nie eine Indikation bestand, diesen Weg in Erwägung zu ziehen. Das hat mich sehr betroffen gemacht. Da würde ich meine Lebensberechtigung selber infrage stellen. Ja, weil das Kind vielleicht behindert sein könnte – darauf sage ich: Ja, könnte.
Das hat mich massiv geschreckt.
Als das Kind auf der Welt war, hat mich als nächstes geschreckt: Die Krankenschwestern haben sehr schnell festgestellt, dass ich selbstbestimmt sein kann, dass ich weiß, was ich tu, und man mich ernst nehmen kann. Das mussten sie aber auch lernen. Beim letzten Arztgespräch war wieder ein Arzt da, der meinte, er muss mit meiner Mutter neben mir über mich sprechen. Die Mama hat dann gleich gesagt: „Nein, ich bin nur zum Abholen da. Das müssen Sie schon mit ihr selber ausmachen.“
Und dann war da leider auch in der Klinik das Bedürfnis – warum auch immer –, mich beim Jugendamt zu melden bezüglich Kindeswohl. Obwohl es überhaupt keine Hinweise dafür gegeben hat. Dem Kind ist sehr gut gegangen. Alleine aufgrund der Tatsache, dass da „Rollstuhlfahrerin“ gestanden ist. Die Abteilungsleitung hat mich gar nicht gesehen, mich gar nicht persönlich gesprochen, aber auf meinen Akten „Rollstuhlfahrerin“ gelesen. Das Jugendamt hat dann kontrollieren müssen und auch kontrolliert, aber natürlich nichts gefunden. Aber allein die Tatsache hat mich sehr traurig und wütend gemacht.
Bei uns in der Steiermark hat es schon ein paar Fälle gegeben, wo das Jugendamt vor dem Kreißsaal gewartet hat, um das Kind abzunehmen.
Eva-Maria Proßegger: Ich habe leider schon viele ähnliche Sachen gehört. Das war auch immer meine Sorge. Ich wollte ja mit 20 Jahren schon ein Kind, da waren die Gegebenheiten noch nicht so. Aber ein Grund war die Angst, dass das Jugendamt aufgrund irgendwelcher Paragrafen entscheidet: „Du kannst das Kind nicht so versorgen, wie andere das machen, deinem Kind geht es somit schlecht und wir nehmen es jetzt mit.“
Das war immer meine Sorge, bis ich mich doch zu dem Schritt entschieden habe. Dann habe ich Beispiele gesehen, wo es doch schon möglich war. Wo Menschen mit Behinderung Eltern sind und wo es funktioniert. Und da ich selber ja eine Resolute, Durchsetzungsfähige bin, habe ich mir gedacht: Wenn die das schaffen, schaffe ich das auch.
Außerdem steht meine Familie hinter mir und sie hätte alles getan, das Kind in der Familie zu halten.
Was hat dein Umfeld dazu gesagt?
Eva-Maria Proßegger: Die engen Freunde und die Familienfreunde waren überrascht, weil sie es doch erst erfahren haben, als ich ein bisschen weiter mit der Schwangerschaft war. Ich wollte auf Nummer sicher gehen, weil immer was dazwischenkommen kann. Sie waren positiv überrascht. Andere müssen es nicht gutheißen, aber das ist mir auch nicht so wichtig. Mein Umfeld ist Großteils dafür oder kann es verstehen. Man darf gerne Kritik üben oder es nicht unbedingt als positiv empfinden. Aber mein Umfeld hat Ben kennengelernt, liebt ihn und freut sich, dass er da ist.
Welche Erfahrungen hast du speziell mit Frauen-ÄrztInnen gemacht?
Eva-Maria Proßegger: Da habe ich ein ziemlich großes Glück gehabt. Seit 2013 habe ich zwei Frauen-Ärzte gehabt. Beide waren sehr – ich nenne es einmal „patientinnen-orientiert“. Sie haben mir zugehört und meine Assistenten wirklich als Helfer gesehen und nicht als Sprachrohr. Sie haben meine Wünsche, Sorgen und Bedürfnisse angenommen und mich als Patientin wahrgenommen und ernst genommen.
Wie war die Geburt für dich?
Eva-Maria Proßegger: Ich habe davor recherchiert und habe eine Mutter in Deutschland gefunden, die mit spastischer Zerebralparese drei Kinderauf die Welt gebracht hat auf natürlichem Weg. Deshalb habe ich mir gedacht, das probiere ich auch. Ich habe im Hinterkopf behalten, dass es einen Kaiserschnitt geben könnte, wenn es nicht hinhaut. Diese Frage hat Ben dann eben selbst beantwortet, indem er sich nicht gedreht hat im Bauch. Deshalb war es ein geplanter Kaiserschnitt.
Ich war nicht traurig, die Schmerzen nicht zu erleiden, aber was ich sehr schade gefunden habe: den ersten Schrei nicht zu hören. Aber Lukas hat das eh eingefangen. Natürlich ist es nicht live und nicht direkt, aber ansonsten war die Geburt reibungslos und wir waren alle happy, dass es für beide gut geklappt hat.
Was möchtet ihr mit dem Film erreichen?
Lukas Ladner: Mir war es ein Anliegen, eine diversere Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderungen darzustellen. Die Narrative („Narrativ“ bedeutet „Erzählung“) und die Konflikte in der Darstellung sind immer dieselben. Unser Anliegen war, das anders zu erzählen: dass der Rollstuhl nebensächlich wird und wir eine Sichtbarkeit abseits der Behinderung möglich machen. Und auch eine größere Sichtbarkeit erreichen, deshalb freut es mich total, dass wir es ins Kino geschafft haben. Das ist nicht selbstverständlich für einen Film.
Eva-Maria Proßegger: Mein Ziel war es, der Gesellschaft zu zeigen: „Hallo, Leute! Es geht um eine Rollstuhlfahrerin – aber es kann noch mehr passieren, als im Rollstuhl zu sein und bemitleidet zu werden.“ Der berühmte Satz „an den Rollstuhl gefesselt“ kann widerlegt werden. Ich wollte zeigen, dass Arbeit möglich ist, dass das Leben mit Assistenz möglich ist, dass man seine Freizeit gestalten kann – und auch ein Kind großziehen kann. Mir ist wichtig, dass diese Möglichkeit besteht und sie uns nicht von Grund auf abgesprochen wird. Was ich schon auch sagen will, ist, dass ich nicht jeden Menschen mit Behinderung voll dazu animieren möchte, Mama oder Papa zu werden. Sondern dass man sich das wirklich gut überlegen muss – organisatorisch, finanziell und in Sachen Arbeits-Sicherheit und Wohnen. Der Film soll Mut machen, aber nicht jeden animieren, Eltern zu werden. Trotzdem muss die Möglichkeit vorhanden sein.
Mein persönliches Ziel ist dann erreicht, wenn in der Gesellschaft gesagt wird: „Nicht schon wieder der Film! Das ist doch eh schon überall so Standard. Es gibt eh schon mehr Rollstuhlfahrer als Fußgänger, es gibt doch eh schon mehr Rampen als Stufen – was regen sie sich noch immer auf?“ Ob ich das am Ende noch erleben werde, schauen wir mal. Aber ich glaube, wir leisten mit dem Film einen guten Beitrag.
Beim Film war mir auch sehr wichtig, dass ich weder als Super-Mama noch als arme, behinderte Rollstuhlfahrerin dargestellt werde. Sondern ganz neutral, sachlich, fachlich, authentisch, direkt. Im Film ist so gut wie nichts gestellt – bis auf eine Kleinigkeit. Kein Drehbuch. Wir haben schon die Themen besprochen, die wir filmen wollten, aber die Szenen sind ganz natürlich entstanden. Das war mir auch wichtig: dass wir kein Schauspiel machen.
Gibt es von eurer Seite noch etwas anzumerken?
Lukas Ladner: Den Film gibt es in der barrierefreien Fassung mit der Gehörlosen-Untertitelung und der Induktions-Schleife (Anm. der Redaktion: damit wird Ton störungsfrei an Hörgeräte übermittelt), so das jeweilige Kinosystem das anbietet. Wenn es eine Person braucht, am besten vor dem Film im Kino nachfragen.
Eva-Maria Proßegger: Das ist auch ein Punkt, der mir wichtig ist: Ich bin froh, dass es die Untertitel gibt. Auch wenn nicht alle Gehörlosen etwas mit dem Untertitel anfangen können. Mir war es wichtig, dass wir ein breites Feld an Zuschauern erreichen können, um so gut wie möglich niemanden auszuschließen.
Text: Daniel Gamweger